150 Jahre Grundsteinlegung Wilhelmsturm

Am Nachmittag des 28. Juni 1872 trafen am Kölner Bahnhof Deutz ungewöhnlich viele Niederländer ein. Sie alle warteten auf einen Zug, der sie um 14:30 Uhr in dreieinhalb Stunden Fahrt nach Dillenburg bringen sollte. Nach einer kleinen Verzögerung – wegen des großen Andrangs mussten noch zusätzliche Waggons angehängt werden – ging es endlich los. Die vorbeiziehende Landschaft und Natur, so schilderte es ein mitreisender Korrespondent des Utrechter „Dagblads“, beeindruckten die Fahrgäste zutiefst. Mindestens ebenso imponierte den Reisenden aber auch der herzliche Empfang, den ihnen die Dillenburger bereiteten, als sie gegen 18:30 Uhr endlich an ihrem Zielort eintrafen. Das machte offenbar sogar den „sintflutartigen Regen“ vergessen, der bei der Ankunft auf die ausländischen Gäste niederging.

Worum es ging

Was aber wollten die rund 50 Niederländer eigentlich in Dillenburg? Ihr Ziel war eines der wohl beachtlichsten Feste, das die Stadt in ihrer jüngeren Geschichte gefeiert hat: die Grundsteinlegung des Wilhelmsturms, die sich am heutigen Mittwoch, den 29. Juni, zum 150. Mal jährt. Das Datum war übrigens nicht zufällig gewählt: Genau 300 Jahre zuvor, am 29. Juni 1572, hatte Wilhelm von Oranien Dillenburg für immer verlassen, um in den niederländischen Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien zu ziehen.

Die Idee

Die Idee, auf dem Dillenburger Schlossberg „zu Ehren Wilhelms von Oranien … ein entsprechendes Denkmal zu errichten“, war erstmals 1865 formuliert worden. Damals hatte sich auf Initiative des Gymnasiallehrers August Spieß und des Bürgermeisters Benjamin Gail ein „Comité zur Erhaltung … der Dillenburger Schloßruine und Erbauung des Wilhelmsthurmes“ gegründet. Die Planungen schritten zügig voran, wurden allerdings durch den Deutsch-Deutschen Krieg von 1866 sowie den Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 immer wieder zurückgeworfen. Erst nach Gründung des Kaiserreichs und Stabilisierung der Verhältnisse kam Ende 1871 neuer Schwung in die Sache: Endlich gab es einen genehmigten Bauplan, vor allem aber waren inzwischen auch die ersten größeren Spenden eingetroffen – denn der Turmbau musste komplett durch freiwillige Gaben finanziert werden.

Mit dieser Planskizze warb das Dillenburger Turmbau-Komitee im Vorfeld der Grundsteinlegung um Spenden für den Bau des Wilhelmsturms (Foto: Stadtarchiv Dillenburg)

Turmbau stieß auf reges Interesse

Daran trugen die eingangs erwähnten Gäste keinen geringen Anteil: Aufgrund der Stellung Wilhelms von Oranien als Nationalheld stieß das Dillenburger Turmbauprojekt nämlich auch  in den Niederlanden auf reges Interesse. Vor allem zwei Niederländer – beide Teil der angereisten Delegation – hatten sich bemüht, das Vorhaben unter ihren Landsleuten zu bewerben: Prinzessin Marianne von Oranien-Nassau, welche die Pläne begeistert unterstützte und die durch ihre Spenden letztlich über die Hälfte an den Baukosten trug, sowie der Utrechter Pfarrer Walraven Francken, der nach einem Besuch in Dillenburg 1871 ein niederländisches Turmbau-Komitee gründete, das ebenfalls bedeutende Beiträge einsammeln sollte.

Ein internationales Fest in einer national geprägten Zeit

Das Programm für die Feier der Grundsteinlegung am 29. Juni 1872 (Foto: Stadtarchiv Dillenburg)
Das Programm für die Feier der Grundsteinlegung am 29. Juni 1872 (Foto: Stadtarchiv Dillenburg)

Der Wilhelmsturm, dessen Grundstein am Mittag des 29. Juni von Prinzessin Marianne persönlich gelegt wurde, appellierte somit nicht nur an die lokale und regionale Identität, sondern darf in gewissem Sinne sogar als übernational gelten. Unter den Denkmalprojekten der Zeit, die – ganz im Geist der Epoche – allesamt Nationaldenkmäler waren (z. B. das Niederwalddenkmal bei Rüdesheim), nimmt der Wilhelmsturm daher eine Sonderstellung ein. Seine ebenso regionalen wie internationalen Bezüge traten auch auf der Feier zur Grundsteinlegung hervor: Das zeigte sich schon bei dem herzlichen Empfang der niederländischen Gäste und setzte sich in den Festreden fort. Walraven Francken etwa sprach von den überwältigenden Gefühlen, „welche unsere holländischen Herzen hier ergreifen“ und dankte dafür ausdrücklich seinen „deutschen und Dillenburger Freunden.“ Während des Festakts sang man sogar gemeinsam das „Wilhelmus-Lied“. Diese Verbundenheit kam auch in den sechs Urkunden zum Ausdruck, welche feierlich in den Grundstein eingelegt wurden. Mehr als die Hälfte von ihnen stammten aus niederländischer Feder.

Die Feier der Grundsteinlegung des Wilhelmsturms vor 150 Jahren war also der Auftakt zu einem äußerst ungewöhnlichen Denkmalprojekt, das dank großzügiger Spenden zudem ziemlich zügig fertiggestellt werden konnte: Auf den Tag genau drei Jahre später, am 29. Juni 1875, wurde der Turm eingeweiht. Bis heute lockt er Jahr für Jahr unzählige Besucherinnen und Besucher aus den Niederlanden nach Dillenburg.

von Simon Dietrich, Stadthistoriker Dillenburg

Der Wilhelmsturm um 1920 (Foto: Stadtarchiv Dillenburg)
Der Wilhelmsturm um 1920 (Foto: Stadtarchiv Dillenburg)

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